4.4 Narzissen - Mutter des Friedens - Hak Ja Han Moon - Memoiren

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- Kapitel 4 - Gottes Licht scheint auf einen dornigen Pfad -



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Narzissen


„Was bedeutet ‚Belvedere‘?“, fragte ich unsere erste Missionarin in den Vereinigten Staaten. „Auf Italienisch“, antwortete sie, „bedeutet es‚schöne Landschaft, eine herrliche Aussicht‘.“ Dr. Young Oon Kim war eine ehemalige Professorin, eine in Kanada in methodistischer Theologie ausgebildete Koreanerin, die sich durch die Führung Jesu unserer Bewegung angeschlossen hatte. Diese hingebungsvolle Missionarin hatte amerikanische Mitglieder mobilisiert, um durch den Verkauf von Kerzen die notwendigen Mittel für den Erwerb von Belvedere, einem wunderschönen Anwesen am Hudson River in Tarrytown, New York, aufzubringen und es als Trainingszentrum für unsere internationale Bewegung vorzubereiten. Mir gefiel der Name, weil er zu einem Ort passt, an dem Menschen Gottes Liebe in einer friedvollen Umgebung intensiv erfahren können.


Ab 1972 wurden unsere amerikanischen Mitglieder und Gäste inmitten der schönen Bäume und ausgedehnten Rasenflächen von Belvedere in Workshops, die von einem Wochenende bis zu einer Dauer von 100 Tagen reichten, mit dem Göttlichen Prinzip vertraut gemacht. Mein Mann hielt außerdem jeden Sonntag um 6.00 Uhr morgens eine Predigt. Das Trainingszentrum war oft überfüllt mit jungen Leuten aus der ganzen Welt, die kamen, um meinen Mann und mich zu treffen.

In den ersten Jahren pflanzte ich gelbe Narzissen in Belvedere und in unserem nahegelegenen Wohnsitz East Garden. Warum Narzissen? Narzissen sind die Vorboten des Frühlings. Als die ersten Blumen, die den gefrorenen Boden durchstoßen, nachdem sie der Kälte des Winters widerstanden haben, kündigen sie das Kommen von Wärme und neuem Leben an. Ich bin immer wieder erstaunt über diese Vorsehung, die Mutter Natur uns zeigt, und über die Kraft der Sprossen, die dort erscheinen, wo noch Schnee liegt. Rosen und Lilien, die im Frühling oder Hochsommer blühen, sind schön, aber am meisten schätze ich die kleine Narzisse, deren bescheidene, unscheinbare Blüte den Bann des kalten Winters bricht. Berufen, die eingeborene Tochter Gottes und die Wahre Mutter zu sein, besteht mein Weg darin, den eisigen Griff der menschlichen Sünde zu durchbrechen und zu helfen, Gottes Segen in die Welt zu bringen. Deshalb identifiziere ich mich oft mit dieser bezaubernden Blume.

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Es war für mich eine Freude, im Sommer 2016 für ein besonderes Ereignis nach Belvedere zurückzukehren. Am 1. Juni feierten die amerikanischen Mitglieder den 40. Jahrestag der God Bless America Rally, die im Yankee Stadium stattgefunden hatte. Diese Veranstaltung von 1976 war für uns ein monumentales Ereignis. Dort verkündete mein Mann, dass Amerika das von Gott vorbereitete Land ist, das die Verantwortung hat, durch seinen christlichen Geist und sein christliches Fundament die Einheit aller Ethnien, Nationen und Religionen herbeizuführen.

Dass Gott eine koreanische Bewegung, die Vereinigungskirche von Sun Myung Moon und Hak Ja Han, berufen musste, um Amerika an seine Bestimmung zu erinnern, ist schon etwas ironisch. Dem Ruf Gottes folgend, versuchten wir mit aller Kraft, das in Unruhen und Korruption versunkene Amerika zu erwecken. Zu jener Zeit waren Vater Moon und ich nur als die Gründer einer neu entstandenen religiösen Bewegung aus dem Osten bekannt. Heute, ein halbes Jahrhundert später, fühle ich wie damals die große Sehnsucht und Hoffnung, Gottes globales Friedensreich auf die Welt zu bringen.

Von ganzem Herzen war ich den Familien dankbar, die sich an diesem Tag in Belvedere versammelten hatten, um den 40. Jahrestag zu feiern. Sie waren wie ein Meer von Narzissen. 1976 waren sie in ihren Zwanzigern gewesen und jetzt waren sie mit ihren Kindern und Enkelkindern hier. Irgendwann sangen wir „You Are My Sunshine“ (Du bist mein Sonnenschein). Es ist ein einfaches Lied, aber eines, das ich nie vergessen werde, denn für mich und für alle, die an diesem Tag versammelt waren, machte es die Ereignisse von Yankee Stadium lebendig. Ich war überwältigt von Gefühlen, meditierte still und durchlebte erneut die Erinnerungen, die mich durchfluteten.

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Der puritanische Geist, der Gott und religiöse Freiheit um jeden Preis suchte, hatte die Vereinigten Staaten hervorgebracht. Doch mit der Zeit entstand in Amerika eine egoistische und dekadente Kultur, die seine ursprüngliche Orientierung an Gottes Willen verdrängte. Dem traditionellen Christentum fehlte es an spirituellen Ressourcen, um den Vormarsch der sexuellen Unmoral und des Materialismus zu verhindern. Als mein Mann und ich im Dezember 1971 hier ankamen, investierten wir zusammen mit unseren Mitgliedern all unsere Kräfte, um den Gründergeist Amerikas wiederzubeleben und die Amerikaner zu bewegen, ihrer gottgegebenen Verantwortung gerecht zu werden. Gottes Traum ist es, dass alle Menschen auf der Welt dankbar und glücklich im friedlichen Bereich der Liebe Gottes leben. Wir wussten, dass wir dazu eine revolutionäre Kultur des Herzens erwecken mussten. Dies war der Anstoß für unsere Yankee Stadium Rally am 1. Juni 1976.

1976 fand die Zweihundertjahrfeier der Gründung der Vereinigten Staaten statt. Als Koreaner und Bürger einer Republik, die ihre Existenz zum großen Teil den Vereinigten Staaten verdankt, lieben wir Amerika. Seit 1972 hatte mein Mann in ganz Amerika sehr eindringliche öffentliche Ansprachen gehalten und gesagt:
„Gott hat mich in der Rolle eines Arztes und als einen Feuerwehrmann gesandt, um Amerika zu retten.“ Wir glaubten, dass Amerika eine auserwählte Nation ist, und verkündeten als Thema für die Veranstaltung 1976: „God bless America“ (Gott segne Amerika). Wir erhoben unsere Stimmen, um zu erklären, dass Gott Amerika braucht, um den Kommunismus zu überwinden und eine familienzentrierte Moral wiederherzustellen.

Unsere weltweiten Mitglieder beteten 1976 den ganzen April und Mai hindurch für den Erfolg im Yankee Stadium. Freiwillige kamen von überall aus den Vereinigten Staaten sowie aus Japan und Europa nach New York, um die Menschen zur Teilnahme einzuladen. Sie taten dies unermüdlich und voller Enthusiasmus. In diesen zwei Monaten versuchten wir, einen schlafenden Riesen zu wecken und die demokratische Welt neu zu beleben, indem wir dem Einfluss des Kommunismus und der Kultur der Drogen und des freien Sex entgegenwirkten, die die Moral der jungen Menschen in Amerika zerstörten. Wir betrachteten die Zweihundertjahrfeier als einen Scheideweg, ein Ereignis, das signalisieren würde, ob wir die Richtung Amerikas ändern können oder nicht. Durch die harte Arbeit unserer Mitglieder kamen Menschen aus der gesamten Umgebung New Yorks sowie Unterstützer aus anderen Bundesstaaten und Nationen zusammen.

Und an diesem ersten Tag im Juni versammelten sich auch andere. So wie in Korea, wo sich Christen und Kommunisten von rechts und links zusammenschlossen, um uns anzuklagen und anzugreifen, schrien und tobten Demonstranten vor dem Yankee Stadium. Die Polizei war mit dieser Situation überfordert; also schickten wir viele unserer aktiven Mitglieder von ihren Plätzen im Stadion hinaus, um die gegnerische Menge abzuwehren und den mehr als 50.000 Menschen friedlichen Einlass zu gewähren.

Wie die geschichtlichen Aufzeichnungen berichten, lag das eigentliche Drama jedoch nicht in den Protesten. Das wirkliche Drama war das Wetter. Tausende von Menschen saßen bereits auf ihren Plätzen  und tausende mehr wollten das Stadion betreten, als immer dunklere Wolken am Himmel aufzogen. Die Transparente und Schilder, die Soundanlage und die Bühne waren aufgebaut; die Band und der Chor befanden sich an Ort und Stelle. Plötzlich fegte ein gewaltiger Sturm durch das Stadion. Heftige Winde wehten, Regen goss in Strömen herab, unsere God Bless America-Banner wurden von den Außenmauern gerissen und unsere Plakate wurden völlig nass. Die Ausrüstung auf der Bühne wirbelte durch die Luft. Der Regen durchnässte auch die Menschen; es war ein unbeschreibliches Durcheinander. Und außerhalb des Stadions brüllte und schrie die Menge der Gegner und überhäufte uns mit Spott.

Man hätte sich fragen können: Ist Gott wirklich mit uns? Ist dies alles Teil von Gottes Plan? Dann sprang einer unserer jungen amerikanischen Leiter auf die Bühne, hob die Arme wie ein Dirigent vor einem Orchester und begann aus voller Kehle zu singen: „You are my sunshine, my only sunshine. You make me happy when skies are gray.“ (Du bist Mitglieder der Vereinigungskirche dirigieren die Menge beim Singen von "You Are My Sunshine", dem Lied, das ein Wunder schuf mein Sonnenschein, mein einziger Sonnenschein. Du machst mich glücklich, wenn der Himmel grau ist.)

Es war wie ein Signalfeuer. Im Herzen vereint begannen alle zu singen: „You are my sunshine, my only sunshine!“ Ein überwältigender Chor breitete sich im Stadion aus und Freudentränen vermischten sich mit den Regentropfen, die über die Gesichter flossen. Die sommerlichen Sturmböen, die Kritik unserer Gegner und das Gedränge um den Schutz der technischen Ausrüstung – das alles hatte unseren Geist nur gestärkt. Auch wenn wir durchnässt waren, suchte niemand Schutz. Der Himmel war unser Schutz, der die Menschen aller Ethnien, Nationen und Religionen vereinte, die das Yankee Stadium füllten.

Dieser Gesang war eine Grundlage des Glaubens und der Einheit, die Gott bewegte. Der Himmel über dem Yankee Stadium begann sich aufzuhellen. Die Dunkelheit, in die sowohl Himmel als auch Erde gehüllt waren, begann zu weichen. Die Sonnenstrahlen kamen durch und das Fest, das völlig gescheitert schien, wurde neugeboren. Unsere Freiwilligen fegten die Bühne, wischten die technische Ausrüstung ab und räumten die heruntergefallenen Schilder aus dem Weg. Nun, da der Sonnenschein alle erwärmte, begann das Programm.

Bevor mein Mann die Bühne betrat, sprach er ein Gebet. Dann ergriff er meine Hand und sagte: „Dank deiner aufrichtigen Hingabe und deines Gebets gehe ich heute auf die Bühne.“ Das dankbare Lächeln meines Mannes war wärmer als die Sonne, die durch die Wolken schien. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass wir und unsere gesamte globale Familie die Dunkelheit durchdrungen hatten. Von der Grenze des Todes waren wir wieder auferstanden in eine strahlende Zukunft für Himmel und Erde. Ich strich die kalten Regentropfen aus meinem Gesicht und zur Ermutigung umarmte ich ihn.

Wir hatten einen starken Glauben an Gott und an die Rettung der Welt und verloren nicht den Mut, denn wir waren uns voll bewusst, dass Gott mit uns war. Verglichen mit den Härten und der Unterdrückung, denen wir in unserem Heimatland ausgesetzt waren, bevor wir in die Vereinigten Staaten kamen, war das nichts. Wir verwandelten die Rufe der Gegner in Lieder des Lobpreises. Der strömende Regen und die Windböen wehten unsere Schilder hinweg, aber nicht unsere Liebe.

Als mein Mann die Bühne betrat, begrüßte ihn das Publikum mit lautem Applaus. „Wer sind die wahren Amerikaner?“, fragte er. „Die wahren Amerikaner sind diejenigen, die einen universellen Geist haben. Wahre Amerikaner sind diejenigen, die an die eine Menschheitsfamilie glauben, jenseits von Hautfarbe und Nationalität, so wie es Gott gewollt hat. Wahre Amerikaner sind diejenigen, die stolz sind auf solche internationalen Familien, Kirchen und Nationen, die aus allen Völkern bestehen.“ Glaube und Mut machten die Veranstaltung zu einem großen Erfolg.

* * *

30 Jahre später, im Juni 2006, eröffnete unsere Bewegung auf unserem weitläufigen Gelände am Cheongpyeong-See in Südkorea ihren Welthauptsitz, den Cheon Jeong-Palast. In seinen Gärten habe ich keine Rosen oder Lilien gepflanzt, sondern Narzissen. Und zu Beginn des Frühlings, wenn ich die gelben Blumen sehe, die unter dem schmelzenden Winterschnee hervorschauen, werde ich sanft an das Ereignis im Yankee Stadium erinnert.

Narzissen, die Wind und Schnee überstehen, sind ein Signal für das Entstehen neuen Lebens. Ihre leuchtenden kleinen Blütenblätter, die Farbe des Sonnenlichts, sind das erste Zeichen dafür, dass der Frühling endlich gekommen ist. Sie werden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Für mich symbolisieren sie die Schönheit und den Frieden, die in unserer Bewegung weltweit aufblühen. Sie sind scheinbar klein, aber in ihrem Inneren ist eine Fülle neuen Lebens, das uns vergessen lässt, dass es jemals einen Winter gegeben hat.




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