Ein unbeugsames Kind - Autobiografie - Sun Myung Moon - Mein Leben für den Weltfrieden

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- Kapitel 1 - Nahrung ist Liebe -



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Ein unbeugsames Kind, das niemals aufgibt


Meinem Vater fiel es schwer, Schulden einzutreiben, aber wenn er selbst Geld borgte, hielt er sich gewissenhaft an seine Vereinbarungen für die Rückzahlung, auch wenn dies bedeutete, dass er die Familienkuh verkaufen oder gar vom eigenen Haus eine Säule herausbrechen und auf dem Markt verkaufen musste. Er sagte immer: „Du kannst die Wahrheit nicht durch Betrügereien ändern. Alles Wahre kann nicht von einem kleinen Trick dominiert werden. Was auf Betrügerei aufgebaut ist, hält nicht länger als ein paar Jahre, bevor es aufgedeckt wird.“


Mein Vater war eine stattliche Person. Er war so stark, dass er keine Schwierigkeiten hatte, mit einem Sack voll Reis auf seinen Schultern eine Treppe hinaufzusteigen. Die Tatsache, dass ich in einem Alter von 90 Jahren noch immer fähig bin, in der Welt umherzureisen und meine Arbeit fortzuführen, ist ein Resultat der physischen Kraft, die ich von meinem Vater geerbt habe.

Meine Mutter – ihr Lieblingslied war das christliche Kirchenlied „Higher Ground“ – war ebenfalls ziemlich kräftig. Ich gleiche ihr nicht nur wegen meiner breiten Stirn und dem runden Gesicht, sondern habe auch ihre geradlinige und temperamentvolle Persönlichkeit. Ich kann ebenfalls sehr unbeugsam sein. Kein Zweifel also, dass ich das Kind meiner Mutter bin. Als Kind hatte ich den Spitznamen „Ganztags-Heuler“. Man gab mir diesen Spitznamen, weil ich den ganzen Tag lang nicht aufhörte zu weinen, wenn ich einmal damit begonnen hatte. Ich weinte immer so laut, dass die Leute dachten, es sei etwas ganz Schlimmes geschehen. Leute, die bereits zum Schlafen ins Bett gegangen waren, kamen wieder heraus, um nachzusehen, was los war. Ich saß nicht nur still da und weinte. Vielmehr sprang ich im Zimmer umher, verletzte mich aus Versehen, so dass ich blutete, und brachte alles in Aufruhr. Schon als ich klein war, hatte ich diese intensive Persönlichkeit.

Wenn einmal mein Entschluss feststand, machte ich niemals einen Rückzieher, auch dann nicht, wenn es bedeutete, dass ich mir dabei einen Knochen brechen konnte. Natürlich war das alles, bevor ich erwachsen wurde. Wenn mich meine Mutter schimpfte, weil ich etwas falsch gemacht hatte, widersprach ich ihr und sagte: „Nein, absolut nicht!“ Ich hätte nur zugeben müssen, dass ich falsch lag, aber lieber wäre ich gestorben, als dass ich diese Worte über meine Lippen gebracht hätte. Meine Mutter hatte jedoch auch eine ziemlich starke Persönlichkeit. Sie schlug mich und sagte: „Denkst du, du kommst einfach so davon, ohne deiner Mutter zu antworten?“ Einmal schlug sie mich so fest, dass ich hinfiel. Selbst dann, nachdem ich mich wieder aufgerappelt hatte, gab ich nicht nach. Sie stand laut schreiend vor mir. Aber ich gab selbst dann immer noch nicht zu, dass ich Unrecht hatte.

Mein Wettkampfgeist war genauso stark wie meine Unbeugsamkeit. Ich konnte es einfach nicht ertragen zu verlieren. Die Erwachsenen im Dorf sagten: „Wenn Osans Kleinäugiger einmal etwas beschlossen hat, dann tut er das auch.“

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie alt ich war, als Folgendes passierte: Ein Junge schlug mir eine blutige Nase und rannte davon. Danach ging ich einen Monat lang jeden Tag zu seinem Haus, stand dort und wartete darauf, dass er herauskam. Die Erwachsenen des Dorfes staunten darüber, wie hartnäckig ich wartete, bis schließlich die Eltern des Jungen herauskamen und sich bei mir entschuldigten. Sie gaben mir sogar einen Behälter voll mit Reiskuchen. Das heißt aber nicht, dass ich immer versucht habe, durch Sturheit und Beharrlichkeit zu gewinnen. Ich war körperlich viel größer und stärker als andere Kinder meines Alters. Kein Kind konnte mich im Armdrücken schlagen. Einmal verlor ich gegen einen drei Jahre älteren Jungen. Das machte mich so wütend, dass ich nicht mehr still sitzen konnte. Ich ging zu einem nahen Berg, zog von einem Akazienbaum ein wenig Rinde ab und trainierte in den nächsten sechs Monaten jeden Abend an diesem Baum, damit ich stark genug wurde, um diesen Jungen zu besiegen. Am Ende der sechs Monate forderte ich ihn zu einer Revanche heraus und schaffte es, ihn zu besiegen.

Jede Generation in unserer Familie hatte viele Kinder. Ich hatte einen älteren Bruder, drei ältere Schwestern und drei jüngere Schwestern. Eigentlich hätte ich noch fünf andere jüngere Geschwister gehabt, die nach meiner jüngsten Schwester Hyo Seon zur Welt kamen, aber diese starben, als sie noch klein waren. Insgesamt schenkte meine Mutter 13 Kindern das Leben, aber fünf überlebten nicht. Ihr Herz muss deswegen tief verletzt gewesen sein. Mutter litt sehr darunter, so viele Kinder unter solch kargen Bedingungen großziehen zu müssen. In meiner Kindheit waren wir viele Geschwister. Wenn meine Geschwister und unsere Cousins ersten und zweiten Grades zusammen waren, konnten wir alles Mögliche unternehmen. Viel Zeit ist jedoch seitdem vergangen und nun fühle ich mich so, als wäre ich als Einziger auf der Welt übriggeblieben.

Einmal, im Jahre 1991, besuchte ich Nordkorea für eine kurze Zeit. Ich ging zum ersten Mal nach 48 Jahren in mein Heimatdorf, aber meine Mutter und die meisten meiner Geschwister waren bereits gestorben. Nur eine ältere und eine jüngere Schwester lebten noch. Meine ältere Schwester, die zu mir als Kind wie eine Mutter gewesen war, war inzwischen eine Großmutter von über 70 Jahren geworden. Meine jüngere Schwester war über 60 Jahre alt und ihr Gesicht war voller Falten.

Als wir jung waren, ärgerte ich meine jüngere Schwester sehr oft. Ich rief: „He, Hyo Seon, du wirst einmal einen einäugigen Mann heiraten.“ Und sie gab mir zur Antwort: „Was sagst du da? Woher willst du das wissen, Bruder?“ Dann rannte sie mir nach und mit ihren kleinen Fäusten trommelte sie auf meinen Rücken.

In dem Jahr, als sie 18 wurde, sollte Hyo Seon einen Mann treffen, mit dem eine unserer Tanten eine Heirat für sie arrangieren wollte. An diesem Morgen stand sie zeitig auf, kämmte sorgfältig ihr Haar und puderte ihr Gesicht. Sie reinigte unser Haus gründlich innen und außen und wartete auf die Ankunft ihres zukünftigen Bräutigams. „Hyo Seon“, neckte ich sie, „du musst wirklich sehr gern heiraten wollen.“ Sie errötete und ich erinnere mich noch immer, wie schön sie aussah, als die Röte ihrer Wangen durch den weißen Puder hindurchschimmerte.

Seit meinem Besuch in Nordkorea sind fast 20 Jahre vergangen. Meine ältere Schwester, die so bitterlich weinte, als sie mich sah, ist in der Zwischenzeit verstorben und ließ nur noch meine jüngere Schwester zurück. Das alles bereitet mir viel Kummer! Ich fühle, dass es mir fast das Herz bricht.

Ich hatte geschickte Hände und für gewöhnlich machte ich Kleidung für mich selbst. Als es kalt wurde, strickte ich mir schnell eine Mütze, die ich dann auch trug. Ich konnte das besser als die Frauen und ich gab meinen älteren Schwestern Ratschläge für das Stricken. Für Hyo Seon habe ich einmal einen warmen Schal gestrickt.

Meine Hände waren so groß und dick wie Bärenpranken, aber ich genoss die Arbeit mit den Nadeln und ich machte sogar meine Unterwäsche selbst. Ich nahm etwas Stoff von einer Rolle, faltete ihn in die Hälfte, schnitt ihn in die richtige Form, säumte das Hemd ein, nähte es zusammen und zog es an. Als ich einmal auf diese Art ein Paar traditionelle koreanische Socken für meine Mutter angefertigt hatte, drückte sie aus, wie sehr sie ihr gefielen: „Sehr gut, ich dachte schon, der zweite Sohn albert nur herum, aber diese passen mir perfekt.“

Zu jener Zeit war es als Teil der Vorbereitung auf die Hochzeit eines Sohnes oder einer Tochter der Brauch, Baumwollstoff zu weben. Die Mutter nahm Baumwolle und steckte sie auf ein Spinnrad, um daraus Garn zu spinnen. Im Dialekt der Pyongan-Provinz nennt man das Toggaengi. Sie legte die Breite auf dem Webstuhl auf 20 Fäden fest und webte 12 Bahnen Baumwollstoff, 13 Bahnen Baumwollstoff und so weiter. Jedes Mal, wenn ein Kind heiratete, wurde Baumwollstoff, so weich und schön wie ein veredelter Satinstoff, von den rauen Händen meiner Mutter gewebt. Ihre Hände waren unglaublich flink. Andere webten vielleicht nur drei oder vier Stücke Toggaengi- Stoff pro Tag, aber Mutter schaffte bis zu 20. Als sie es eilig mit den Vorbereitungen für die Hochzeit einer meiner älteren Schwestern hatte, konnte sie an einem Tag eine ganze Stoffrolle weben. Mutters Charakter war ungeduldig. Wenn sie sich etwas vorgenommen hatte, arbeitete sie solange flink daran, bis sie damit fertig war. Auch darin bin ich ihr ähnlich.

Seit meiner Kindheit habe ich immer gern eine große Vielfalt an Speisen gegessen. Als Kind aß ich gern Mais, rohe Gurken, rohe Kartoffeln und rohe Bohnen. Während eines Besuchs bei meinen Verwandten mütterlicherseits, die ungefähr acht Kilometer entfernt wohnten, sah ich auf einem Feld eine runde Frucht. Auf meine Frage, was das sei, bekam ich zur Antwort, dass diese Früchte Jigwa oder Süßkartoffeln heißen. Jemand grub eine für mich aus und kochte sie im Wasserdampf, und so aß ich sie. Sie war so köstlich, dass ich mir gleich einen ganzen Korb voll davon holte und alle allein aufaß. Vom darauf folgenden Jahr an konnte ich mich von meinen Verwandten mütterlicherseits nicht mehr als einige Tage fernhalten. Ich rief meiner Mutter zu: „Ich gehe ein bisschen raus!“ Dann rannte ich den ganzen Weg zu meinen Verwandten und aß dort Süßkartoffeln.

Dort, wo wir lebten, gab es im Mai einen Nahrungsengpass, den wir „Kartoffel-Pass“ nannten. Den Winter hindurch überlebten wir mit Kartoffeln, bis wir im Frühling mit der Ernte der Gerste beginnen konnten. Der Mai war eine kritische Zeit, denn wenn der Kartoffelvorrat aufgebraucht war, bevor die Gerste geerntet werden konnte, fingen die Menschen an zu hungern. Die Zeit zwischen der immer größer werdenden Knappheit in den Kartoffellagern und der Ernte der Gerste war vergleichbar mit der Besteigung eines steilen Bergpasses. Deshalb nannten wir dies den Kartoffel-Pass.

Die Gerste, die wir damals aßen, war nicht die wohlschmeckende, flachkörnige Gerste, die wir heute kennen. Die Körner waren hart und zylindrisch geformt, aber für uns war das gut genug. Wir weichten die Gerste ungefähr zwei Tage in Wasser ein, bevor wir sie kochten. Wenn wir beim Essen zusammensaßen, presste ich meinen Löffel fest auf die Gerste in meiner Schale, weil ich wollte, dass die Körner zusammenklebten. Das war aber vergeblich, denn wenn ich sie dann auf meinen Löffel schaufelte, fielen die Körner auseinander wie Sand. Ich mixte sie mit Gochujang (rote Chilipaste) und nahm einen Mund voll. Beim Kauen rutschten die Gerstenkörner immer wieder zwischen meinen Zähnen durch und so musste ich meinen Mund dabei fest zumachen.

Wir fingen und aßen auch Laubfrösche, das war so üblich. Zu jener Zeit wurden Kinder in den ländlichen Gegenden mit Laubfröschen gefüttert, wenn sie Masern hatten und ihre Gesichter vom Gewichtsverlust schmal wurden. Wir fingen drei oder vier von diesen Fröschen, die groß genug waren und eine Menge Fleisch an ihren fetten Beinen hatten. Wir rösteten sie eingehüllt in Kürbisblätter. Sie waren sehr zart und wohlschmeckend, als wären sie in einem Reiskocher gedünstet worden. Wenn ich hier von Köstlichkeiten spreche, darf ich auch das Fleisch von Sperlingen und Fasanen nicht unerwähnt lassen. Wir sammelten und kochten die hübschen bunten Eier der Berg- und Wasservögel, die über die Felder flogen und krächzende Schreie von sich gaben. Als ich so die Hügel und Felder durchstreifte, begann ich zu begreifen, dass es in der freien Natur einen großen, uns von Gott geschenkten Reichtum an Nahrung gibt.



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